Buchpremiere in Bibliothek

Buchpremiere in Reutlinger Stadtbibliothek

Nicht jede Autorin ist auch eine fesselnde Erzählerin. Doch Nicola Vollkommer bringt dieses Talent bei ihrer Lesung voll mit ein.
Mehr als 50 Besucher erlebten in der gut besuchten Stadtbibliothek eine lebhafte Autorin, die ihren zweiten Roman „Die Rückkehr des Erben“ im Rahmen der Reihe „Reutlinger Buchpremieren“ vorstellte.

 
Aufgewachsen ist die gebürtige Engländerin in Afrika und lebt seit 1982 in Reutlingen. Während ihres Austauschstudiums in Tübingen lernte sie ihren heutigen Ehemann kennen und blieb deshalb der Achalmstadt erhalten. Unter anderem unterrichtet sie an der Freien Evangelischen Schule Englisch, gehört zum Leitungsteam der Christlichen Gemeinde Reutlingen und ist eine gefragte Referentin.

Ganz nebenbei hat sie sich auch zu einer bemerkenswerten Schriftstellerin entwickelt. Nach ihrem Debüt mit der Familiengeschichte „Wie Möwen im Wind“ aus dem Jahr 2015 nun also der Folgeroman „Die Rückkehr des Erben“, der ebenfalls auf dem Anwesen Birch Heights spielt und auf den ersten Roman aufbaut.

 
Londons dunkle Gassen

Im Unterschied zum Vorgänger kommt neben den windumtosten Küsten Cornwalls aber noch ein weiterer wichtiger Schauplatz dazu: Dieser spielt in den dunklen Gassen Londons, wo in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts Elend, Prostitution und Ausbeutung an der Tagesordnung waren. Hierher hat es den im ersten Band verschwundenen Sohn des selbst ernannten Erben Malcolm Forsythe-Drake verschlagen. Der inzwischen erwachsene Eduard fristet ein verarmtes und verwahrlostes Leben in einem heruntergekommenen Armenhaus, von denen es in den Großstädten Englands im Zuge der industrielle Revolution zahlreiche gab.

Mit viel Dramatik erzählt die Autorin die verzwickte Familiengeschichte, die den Leser im Wechsel nach London und zurück ins Herrenhaus nach Cornwall führt. Es geht um Liebe, Freundschaft, um ein lange gehütetes Geheimnis aus der Vergangenheit und um den seit seiner Kindheit verschwundenen Erben des Gutes, der plötzlich seinen Teil einfordert. Dies tut Eduard aber nicht aus eigenem Antrieb, er wird gelenkt von dem widerlichen Mr. Creek, der eine hinterlistige Verschwörung anzettelt. Schon bald werden die Hauptfiguren dieser Mischung aus Krimi und Liebesroman von ihrer Vergangenheit eingeholt. Eine Romanlesung im klassischen Stil ist das nicht, was in der Reutlinger Stadtbibliothek über die Bühne geht. Eher der Auftritt einer Autorin, die sich mit bildhafter Sprache und rasantem Lesetempo auf eine poetische Reise zwischen Verliebtsein und Intrige, Elend und Ausbeutung, Glaube und Schicksal wagt.

Nicola Vollkommer erzählt assoziativ, nicht linear. In ihrem Buch sind geschickt die verschiedenen Handlungsfäden, Schauplätze, erinnerte Vergangenheit und historischer Hintergrund so verknüpft, dass sich eines im anderen spiegelt und sich eine Erzählung großer Stringenz entwickelt. Auffallend ist die sprachliche Differenzierung ihrer Prosa, die einhergeht mit einem Reichtum des verbalen Reservoirs.

 
Persönlicher Moment

In der Stadtbibliothek ist die Britin ein höchst willkommener Gast. Denn was ihr Buch – und damit diese Lesung – so lebendig macht, ist der persönliche Moment. Man sieht es der Autorin regelrecht an, welchen Spaß sie am Lesen hat, wenn sie ihre Erzählungen effektvoll durch Gestik und Mimik unterstützt. ihr emotionaler Erzählstil ist allein schon den Besuch wert.

Schade nur, dass im Anschluss an die 60-minütige Lesung keine Frage aus dem Publikum kam. Vielleicht waren die Besucher von den bilderreichen Ausführungen über „Die Rückkehr des Erben“ so beeindruckt, dass es ihnen schlichtweg die Sprache verschlug?

 
Von Jürgen Spieß | Reutlinger Nachrichten | 17.12.2017